Polarisierung

Polarisierung bezeichnet nach einem Vorschlag des Musikwissenschaftlers Hansjörg Pauli aus dem Jahr 1976 eine Technik in der Filmmusik.

Durch Polarisierung bekommt ein unbestimmter oder mehrdeutiger Bildinhalt eine festgelegte Bedeutung. Pauli selbst formulierte es folgendermassen: «Als polarisierend bezeichne ich eine Musik, die kraft ihres eindeutigen Charakters inhaltlich neutrale oder ambivalente Bilder in eine eindeutige Ausdrucksrichtung schiebt.» (Pauli 1976, S. 104) Ein neutraler Gesichtsausdruck kann zum Beispiel durch eine angespannt oder gelöst wirkende Musik mit den entsprechenden Emotionen verknüpft werden.

Pauli formulierte damit eine filmmusikalische Parallele zu dem sogenannten Kuleschow-Effekt beim Filmschnitt. Der Regisseur und Filmtheoretiker Lew Kuleschow hatte 1921 demonstriert, dass ein neutrales Filmbild von den Einstellungen beeinflusst wird, mit denen es montiert wird. Während die Filmschnitte in zeitlicher Abfolge zusammenwirken, kann Musik simultan zum Bild eingesetzt werden.

Paraphrasierung und Kontrapunktierung

Die beiden andern Begriffe, die Pauli in diesem Zusammenhang eingeführt hat und die in der Literatur oft verwendet werden, sind Paraphrasierung und Kontrapunktierung: Eine paraphrasierende Filmmusik verdoppelt die Information, die im Bild zu sehen ist (wie etwa eine Nationalfahne mit der entsprechenden Nationalhymne), und eine kontrapunktierende widerspricht scheinbar dem Bild.

Die Kontrapunktierung gilt als besonders gewagt, die Paraphrasierung entspricht dagegen oft den Erwartungen, hat aber geringeren Effekt.

Schweizer Filmmusik

Ein bekanntes gelungenes Beispiel von Kontrapunktierung ist die Musik von Julien-François Zbinden zur letzten Einstellung von La course au bonheur (Henry Brandt 1964): Nicht die fragende Geste des Kindes wird mit der Musik unterstrichen, wie ursprünglich geplant, sondern das geschäftige Treiben, das skeptisch von ihm betrachtet wird.

Im Werbefilm Orange Snowboarder (Reiner Binz 1999) kontrapunktierte der Komponist Alex Kirschner die Aktivität des Sportlers durch eine träumerische Musik. (Autor: Mathias Spohr)

Literatur

  • Hansjörg Pauli: Filmmusik: Ein historisch-kritischer Abriss, in: H.-Chr. Schmidt (Hg.): Musik in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen. Perspektiven und Materialien, Mainz: Schott 1976, S. 91–119. ISBN 978-3795726119
  • James Monaco: Film verstehen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002, S. 429. ISBN 3-499-61433-2